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1/06 Übersetzen - Leseprobe

Cover der Übersetzenausgabe

Michaela Wolf
Übersetzung als "Brücke zwischen den Kulturen"?
Ein Plädoyer für die Sicht von Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen

Peter Weibel merkt in einem Interview der Standard-Beilage „Album“ im Rahmen der Diskussion um Originalität, Individualität und Plagiat auf den Begriff des (künstlerischen) Originals bezogen an, dass dieser nur „im Kontext des Eigentumsbegriffs des Bürgerlichen Gesetzbuches“ Sinn hat, also ein Kapitalbegriff sei. Und da – in der Kunst – Vorhandenes stets übernommen und fortgeführt würde, müssten Begriffe wie Kopie, Aneignung, Plagiat demokratischer gesehen werden: In der Kunst gebe es keine grandiose Originalität (Weibel 2006: A2).
 
Die Parallelen, die hinsichtlich rezent entwickelter Übersetzungsbegriffe zu den Aussagen Weibels gezogen werden können, sind verblüffend: Übersetzung wird da nicht mehr mimetisch als sekundäres Produkt eines sakrosankten Originals angesehen, als reproduktive, weibliche, untergeordnete Variante eines Ausgangstextes, der das männlich Starke und Aktive (Autor/Vater) repräsentiert, sondern als Produkt einer pluridimensionalen Handlung, als ein „nie-endender Transfer zwischen unsicheren Polen kultureller Differenz“ (Bhabha, zit. nach Simon 1997: 475), an dessen Zustandekommen Subjekte beteiligt sind, die, entlang Grenzen wandelnd, die Produktion kultureller Differenz vorantreiben. Die Sicht von Übersetzung als „Brücke zwischen Kulturen“ gerät damit ins Wanken bzw. wird obsolet, findet doch – in Anlehnung an postkoloniale Kulturtheorien – der übersetzerische Transfer zwischen Kulturen statt, die bereits in sich kontaminiert sind.
 
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1/06 Übersetzen - Inhaltsverzeichnis

Übersetzen oder: wie lösen KulturanthropologInnen das Problem des Fährmanns?
Ina-Maria Greverus

Übersetzung als "Brücke zwischen Kulturen"?
Ein Plädoyer für die Sicht von Übersetzung als Beitrag zur Konstruktion von Kulturen
Michaela Wolf

Übersetzen: Kuckuck sucht Nest.
Notate zu den SpracheBemühungen im Forschungsprogramm
"ProVISION_Vorsorge für Natur und Gesellschaft"
Maria Nicolini

Karrikaturisten als Übersetzer?
Helge Gerndt

Vom Tankobon zum Taschenbuch
Metamorphosen des Manga im Westen
Sebastian Keller

Rolle rückwärts.
Wie Retrotrends populärkulturelles Erbe in die Gegenwart übertragen helfen
Lutz Hengst

Professionelle Halfies
Al-Jazeera Korrespondenten in Europa
Sarah Jurkiewicz

"wenn Worte sich verdoppeln ..."
Übersetzungsprozesse im therapeutischen Raum mit Asylsuchenden
Ulrike Körbitz

Gefühlserbschaften
Die verborgene Sprache zwischen den Generationen
Angela Moré

Buchkuckuck:
Prinzip Lattenzaun
Perspektiven und Grenzen einer ästhetischen Anthropologie
Judith Laister


Kunstinsert
Brandner

1/06 Übersetzen - Editorial

Die frühen Kulturanthropologen haben die Problematik des Übersetzens vernachlässigt und den Zusammenhang von Sprache und Kultur lange Zeit wenig beachtet. Ein Paradigmenwechsel hat zur Beachtung der Frage nach der Übersetzbarkeit von Kultur geführt. Neue methodische Wege des Beschreibens, Verstehens und Analysierens haben einen sensibleren Zugang zum „Anderen“ eröffnet. Das „Andere“ ist auch das „Andere“ in der eigenen Kultur, das auch der Über-setzung in einen verständlichen Kontext bedarf.
 
Übersetzen zwischen den Kulturen ist auch in den Übersetzungswissenschaften zu einem wichtigen Thema geworden. Michaela Wolf gibt einen Überblick über momentane Strömungen und plädiert für ein weites Kultur- und auch Übersetzungskonzept, das den Blick auf polykulturelle Verknüpfungen und Fragmentierungen lenkt. Der Beitrag von Ina Maria Greverus lotet die Bedeutung von Übersetzung für unsere eigene Disziplin in all ihrer Tragweite aus. Sie nimmt das Bild des Fährmanns, des Über-setzers, um die Problematik des Übersetzens von Kultur auch vor ihrem ganz persönlichen biographischen Erfahrungshintergrund darzustellen. Sie postuliert Übersetzen als Prozess mit allen Sinnen.
 
Missverständnis und Unverständnis zwischen einzelnen Wissenschaften resultieren aus einer zu spezifischen Sprache und der Verschiedenheit der Denkmodelle. Diesem Phänomen wirkt Maria Nicolini durch ihre Forschungen zu Inter- und Transdisziplinarität entgegen. Sie hat zum Thema Übersetzen zwischen den Disziplinen mit KollegInnen eine Collage zur Thematik verfasst, die unterschiedliche Probleme auf zum Teil humorvolle Weise aufzeigt.
 
Bild-Übersetzungen thematisiert Helge Gerndt, und zwar am Beispiel von politischen Karikaturen aus einer Tageszeitung. Der Beitrag diskutiert die Frage, ob Bilder jenseits der Sprache Inhalte übersetzen und Hindernisse wie Sprachbarrieren überwinden können oder im spezifischen kulturellen Rahmen bleiben müssen. Auch wenn man vom Begriff „Manga“ noch nie gehört hat, spätestens bei den Abbildungen wird klar, dass diese Art von Comic auch in Westeuropa durchaus ihre Verbreitung hat. Sebastian Keller gibt wichtige Hintergrundinformationen und „spielt“ mit der Rezeption sprich Übersetzung durch den/die westliche/n Leser/in.
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