1/03 Ostwärts - Leseprobe
Sönke Löden
Eine Frage der Werte.
Vom Modus des ostdeutschen Fortlebens
Am 25. Oktober 2001 erschien in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ein Artikel mit dem Titel "Der Sozialismus siegt". Der Autor behauptete darin, der Sozialismus in Ostdeutschland sei zwölf Jahre nach der Wende nicht nur nicht untergegangen, er sei vielmehr so lebendig wie nie zuvor: "Politisch hat der SED-Staat verloren. Wirtschaftlich hat er versagt. Kulturell jedoch ist die DDR allgegenwärtig, obwohl es diesen Staat seit zwölf Jahren nicht mehr gibt." Der Autor konstatierte, dass nicht nur eine wie auch immer geartete und artikulierte Ost-Identität oder eine aus Zitaten collagierte "Ostalgie" die Bevölkerung der neuen Bundesländer erfasst habe, sondern dass eine "Kultur der Gleichmacherei, des Proletarischen und des Antikapitalistischen" vorherrsche, die tief im Habitus der ostdeutschen Bevölkerung verankert sei. Es gehe nicht allein um einzelne Elemente, die aus dem Arsenal des öffentlichen Lebens, der sozialistischen Kultur und der Konsumwelt der DDR gerettet worden seien und nunmehr gehegt und gepflegt würden, seien es der "Trabant", die Jugendweihe oder die Kindertagesstätten. Vielmehr sei es eine Grundhaltung, ein spezifisches Geflecht von Normen, Werten und Verhaltungsweisen, eben eine Kultur, die sich paradoxerweise gerade dann voll entfaltet habe, als der äußere Druck zur Entfaltung dieser Kultur verschwunden sei. Der Autor bedauert diese Entwicklung und befürchtet, sie könne die Zukunft Ostdeutschlands negativ beeinflussen.