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1/05 Scheinbar - Leseprobe

Cover der scheinbarausgabe

Klaus Schönberger
Scheinbar un-wahr oder wie falsche (Online-)Informationen, "wahre ('Real Life'-)Ereignisse" schaffen
Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zum Fake als politisches Kommunikations- und Handlungsmuster
 
Am 29. November 2004 erreichte die Betreiber der Webseite DowEthics.com eine E-Mail: Die britische Fernsehgesellschaft BBC World Television möchte anlässlich des 20. Jahrestages eines der schlimmsten Chemieunfälle im indischen Bhopal, der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh, mit einem Vertreter der Dow Chemical Company ein Interview machen. Der Unfall ereignete sich am 3. Dezember 1984 in einem Werk des US-Chemiekonzerns Union Carbide Corporation (UCC), der inzwischen Teil der Dow Chemical Company (DCC) ist.

„Echtes Gift und falsche Firmensprecher“

Bei diesem Unglück traten Stoffe zur Herstellung des Schädlingsbekämpfungsmittels Sevin, insbesondere Phosgen aus und dabei starben – je nach Zählweise – mittel- oder unmittelbar zwischen 3.800 und 20.000 Menschen. Außerdem wurden weitere 150.000 bis 600.000 Menschen teilweise schwer verletzt oder chronisch krank.

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1/05 Scheinbar - Inhaltsverzeichnis

Der Schein vom zivilisatorischen Krieg in der westlichen Medienberichterstattung über den Afghanistan- und Irakkrieg
und die Reaktualisierung kolonialer Männlichkeitsbilder
Anna Bergmann

Scheinbar entgrenzt
Grenz-Erinnerungen anlässlich der EU-Erweiterung 2004
an der südoststeirischen / nordslowenischen Grenze
Elisabeth Schober

Scheinbar un-wahr
oder wie falsche (Online-)Informationen, „wahre ('Real Life’-)Ereignisse“ schaffen
Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zum Fake als politisches Kommunikations- und Handlungsmuster
Klaus Schönberger

Machbarkeit und Macht von Humantechnologien
Brigitta Hauser-Schäublin

Der Schein des Fortschritts
Elisabeth List

Scheinbar: Virtualität und Computerspiele
Thomas Lackner

Anrufen und Gewinnen?
Einige „Quiz“-anthropologische Betrachtungen zum „scheinbar“ schnellen Geldgewinn bei „9live – Deutschlands 1. Quiz-Sender“
Claudius Terkowsky

Blendend!
Städte und der schöne Schein kulturellen Kapitals
Judith Laister

Verlockung, Verführung, Versagung
Der Schein neoliberaler Markt-Versprechen trügt
Gabriele Michalitsch

Kunstinserts
Michael Resch
Claudius Terkowsky
Romana Frank

1/05 Scheinbar - Editorial

Die manipulative Herstellungskraft des Scheins war wohl zu keiner Zeit so bestimmend wie in unserer gegenwärtigen Schönen Neuen Welt. Unendliche Möglichkeitsräume sind uns als neue Realität versprochen. Die Strategien des Verbergens, der Simultanität, der Täuschung sind zur Normalität geworden. Was ist wahr, und was ist Absicht ? Was ist eigentlich überhaupt noch, was es vorgibt zu sein? Die komplex gewordene Wirklichkeit und ihre Wahrnehmung ist undurchschaubar geworden. Die Grenzen zwischen Raum und Zeit, Mensch und Maschine, zwischen Wirklichkeit und Erreichbarkeit scheinen endgültig aufgehoben. Wenn sich aber die Macht der Versprechungen durchzusetzen beginnt, wenn sie von den Einzelnen Konsequenzen einfordern, spätestens dann gibt sich ihre Kehrseite zu erkennen. Da reaktivieren sich unmaskiert alte Hierarchien, überwunden geglaubte Zwänge und Herrschaft – scheinbar naturgesetzlich und unabwendbar. Aus unterschiedlichen und kritischen Blickrichtungen legen unsere Autorinnen und Autoren Zusammenhänge dieses Vexierspiels frei und spüren den Bestandteilen und machtvollen Auswirkungen der digitalen und technischen Optionsgesellschaft nach. Hinter dem „Schein vom zivilisatorischen Krieg in der westlichen Medienberichterstattung“ spürt Kulturwissenschaftlerin Anna Bergmann eine Legitimationslogik der Metaphern, Mythen und moralischen Beschwichtigungsformeln auf. Sie entdeckt im freiheitlich-demokratisch bemäntelten Machtanspruch der „Guten“ über das „Böse“ altbewährte Angstbewältigungsstrategien der „zivilisierten Welt“. Den Metaphern vom entgrenzten Europa, der Gemeinsamkeit, des zukünftigen Wohlstandes und der Harmonie widmet sich die Kulturanthropologin und Volkskundlerin Elisabeth Schober in ihrem Beitrag „Scheinbar entgrenzt“. Die Inszenierungen, die anlässlich der Feierlichkeiten der Grenzöffnung zwischen Österreich und Slowenien aufgezogen wurden, fungieren als Abwehr der kulturellen und symbolischen Relevanz einer Vergangenheit und einer realen sozialen Ungleichheit, um das Funktionieren rein ökonomisch motivierter Interessen zu sichern.

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