1/10 Blicke - Leseprobe
Manuela Barth
„Gut gesehen“
Visuelle Wissenspraktiken in der Amateurfotografie
„Es ist der 6. Februar 2010 und in München werden gerade die letzten Vorbereitungen für die Sicherheitskonferenz getroffen. Auf dem Weg zur Uni überholt mich ein Mannschaftswagen der Polizei, denn die Innenstadt wird abgeriegelt, um die erwarteten Demonstrant_innen zu kontrollieren. Es handelt sich um einen Routineeinsatz für die Polizist_innen, die aus ganz Deutschland zum Dienst angereist sind. Routiniert wirken inzwischen auch die Stadtbewohner_innen, denen dieses immer wiederkehrende Ereignis vertraut geworden ist. Beim Überqueren des Odeonsplatzes nehme ich deshalb die parkenden grünen Mannschaftswagen nur beiläufig wahr. Etwa fünfzig Polizist_innen sind gerade am aussteigen. Sie tragen alle Uniform. Alter, Geschlecht, „Rasse“ werden hinter der Markierung „Ordnungshüter“ unsichtbar. Nach dem relativ ungeordneten Ankommen und Aussteigen stellen sich die Polizist_innen vor ihren Autos ordentlich in einer langen Reihe auf und kehren dabei dem Platz den Rücken. Diese eigenartige Formation erinnert mich eher an eine Aufstellung für ein Gruppenbild als an polizeiliche Ordnungsmaßnahmen und erregt deshalb meine Aufmerksamkeit. Zunächst scheint mir meine Assoziation kurios zu sein, aber auf den zweiten Blick stelle ich fest, dass es sich bei dieser Übung tatsächlich um eine Gruppenbildinszenierung handelt. Erkennbar ist das an einer Polizistin, die sich in ausreichender Distanz mit einer Kamera in der Hand am Rand des Platzes positioniert hat. Sofort greife ich in meine Tasche nach meiner Kamera, um diese Situation zu knipsen. Doch ich finde sie nicht. Selbst mein Mobiltelefon, die mögliche Alternative, um diese Situation doch noch festhalten zu können, ist in der Tasche unauffindbar.