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2/11 Atmosphären - Leseprobe

Cover der Atmosphärenausgabe

Malte Borsdorf
Behindert Werden – Atmosphären und Behinderung


Der Begriff der Atmosphäre findet sowohl in der Stadtanthropologie als auch in den Disability Studies häufige Verwendung[1] und wird in beiden Forschungsgebieten hinsichtlich der sinnlichen Wahrnehmung von Atmosphären gefasst. Insbesondere in der Stadtanthropologie wird er vorzugsweise mit Gernot Böhme[2] als Ensemble aus Gegenständen und Sinneseindrücken, beispielsweise Klang, Geruch, Licht, Luft und Temperatur, wie sie die Akteurinnen und Akteure empfangen, die im jeweiligen Forschungsfeld untersucht werden, konzeptualisiert. Im Folgenden möchte ich Gernot Böhmes ästhetisch begründetem Atmosphäreverständnis die Diskussion zweier Auszüge aus meinem Forschungstagebuch kritisch gegenüberstellen.

Atmosphären bei Gernot Böhme

Gernot Böhme spitzt seine Erörterung des Atmosphärenbegriffs auf etwas zu, das er „Leibfühlen“ nennt. Den Ausgangspunkt dazu bildet eine phänomenologische Anthropologie, die Menschen als leibliche „Sinnenwesen“ in ökologische Kontexte eingebunden sieht (vgl. Böhme 1989). Diese allgemeine Theorie sinnlicher Wahrnehmung fokussiert auf die „Beziehungen zwischen Umgebungsqualitäten und den Befindlichkeiten“ (Böhme 1989: S. 30). Im Zitat fehlt satzlogisch die Ergänzung, wessen Befindlichkeiten gemeint sind. Kritisch wäre an dieser Stelle zu hinterfragen, wie ähnlich oder unterschiedlich die Wahrnehmungsvoraussetzungen, die den Befindlichkeiten vorausgehen, bei verschiedenen Personen ausfallen.
Böhmes Analyse setzt einen deutlichen Akzent auch auf die Produktion von Atmosphären und auf die Annahme, dass Räume bewusst oder unbewusst atmosphärisch gestaltet sind (vgl. Böhme 1995: S. 34ff.). Hier setzt der vorliegende Beitrag an, indem er Einsichten der Disability Studies hinzuzieht. Das Ziel müsste danach lauten, auch Personen in die Ethnografie einzubeziehen, für die „körperliches ,Anderssein‘ und ,verkörperte Differenz‘ weitverbreitete Lebenserfahrungen [darstellen], deren Erforschung zu Erkenntnissen führt, die […] grundlegend Aufschluss über das Verhältnis von Individuum, Gesellschaft und Kultur [geben]“ (Waldschmidt / Schneider 2007: S. 13). Die Analyse von Atmosphären sollte berücksichtigen, inwieweit die Gestaltung von Räumen einen Idealkörper voraussetzt. Welchen Einfluss nimmt die eventuelle, implizite Vorstellung über diejenigen, die sich in bestimmten Räumen bewegen, auf die Atmosphäre des Ortes?

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2/11 Atmosphären - Inhaltsverzeichnis

Konzeptualisierungen von Atmosphären. Gernot Böhme und
Jean-Paul Thibaud in der Perspektive der Europäische Ethnologie
Ana Ionescu

Behindert Werden – Atmosphären und Behinderung
Malte Borsdorf

„Ich fühle, also bin ich“. Zum Mehrwert von Atmosphären-Forschung
Sarah Braun

Kulturforscher im Keller
Alexander Edmund Rissmann

Atmosphären der Nacht 
Thomas Felfer
(Tonbeispiel 1Tonbeispiel 2Tonbeispiel 3Tonbeispiel 4Tonbeispiel 5)

(Un)Sichtbare Räume
Das Nonstop-Kino Graz als Schnittpunkt städtischer Restrukturierungen
Georg Wolfmayr   

Stadt, Ästhetik und Atmosphäre
London und die Royal Wedding, 29. April 2011
Simone Egger   

Zur Atmosphäre einer imaginären Landschaft
Die „Toteninsel“ von Arnold Böcklin
Jürgen Hasse   

Atmosphären von Fiktion und Wirklichkeit: Der Dokumentarfilm
Silke Andris   

Verdichtungen. Aspekte von Atmosphäre und
Volkskunde in der österreichischen Zwischenkriegszeit
Magdalena Puchberger  

Kunstinsert
Boris von Brauchitsch

2/11 Atmosphären - Editorial

Der Atmosphärebegriff ist in den kultur- und sozialwissenschaftlichen Disziplinen in den letzten Jahren vermehrt in den Blick gekommen und auch in diesem Heft des Kuckucks lässt sich eine Vielzahl an Atmosphären und Annäherungen daran entdecken. Warum erfährt der Begriff diese besondere Aufmerksamkeit?

Für die alltagskulturwissenschaftliche Rezeption scheinen vor allem zwei Punkte zentral: Zum einen die Anschlussfähigkeit im Kontext einer Wiederkehr des Interesses am Materiellen und an den Dingen sowie zum anderen das Potenzial für die Beschäftigung mit Immateriellem und damit mit dem sinnlichen Gehalt des Alltagskulturellen. In dieser Verschränktheit lassen sich spezifische Aspekte von Macht und Kontrolle ausmachen: Einerseits die strategische Gestaltung von Atmosphären, andererseits die unbewusste, aber dennoch habitualisierte Rezeption derselben. Atmosphären ist man trotz möglicher Potentiale zur Mitgestaltung oft ausgeliefert. Sie umfangen und nehmen ein und können Wohlbefinden als auch Unwohlsein auslösen. Als letzte Konsequenz – jenseits von Aneignung – bleibt dabei oft nur der Rückzug.
Zwischen diesen Polen der Gestaltung, der sinnlichen Erfahrung und der Inklusion/Exklusion pendeln auch die Texte der vorliegenden Ausgabe. Die Beiträge reichen von Auseinandersetzungen mit dem Begriff und mit Fragen der Gestaltung konkreter atmosphärischer Räume über Analysen spezifischer, „marginaler“ Atmosphären (Keller, Nacht und Pornokino) und Atmosphären im Bild und Film bis zu der Rolle, die die Produktion von Heimat-Atmosphären fachgeschichtlich in der Volkskunde spielte.
Nach den Potentialen und Fallen des Atmosphärenbegriffs für eine Alltagskulturwissenschaft fragt Ana Ionescu in ihrem Beitrag. Sie stellt die Arbeiten des Philosophen Gernot Böhme jener des französischen Soziologen Jean-Paul Thibaud gegenüber, resümiert, dass in beiden Ansätzen die akteurszentrierte Perspektive zu kurz kommt, und warnt vor essentialisierenden Verwendungsweisen des Atmosphärebegriffs.

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