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Cover der scheinbarausgabe

Klaus Schönberger
Scheinbar un-wahr oder wie falsche (Online-)Informationen, "wahre ('Real Life'-)Ereignisse" schaffen
Kulturwissenschaftliche Anmerkungen zum Fake als politisches Kommunikations- und Handlungsmuster
 
Am 29. November 2004 erreichte die Betreiber der Webseite DowEthics.com eine E-Mail: Die britische Fernsehgesellschaft BBC World Television möchte anlässlich des 20. Jahrestages eines der schlimmsten Chemieunfälle im indischen Bhopal, der Hauptstadt des Bundesstaates Madhya Pradesh, mit einem Vertreter der Dow Chemical Company ein Interview machen. Der Unfall ereignete sich am 3. Dezember 1984 in einem Werk des US-Chemiekonzerns Union Carbide Corporation (UCC), der inzwischen Teil der Dow Chemical Company (DCC) ist.

„Echtes Gift und falsche Firmensprecher“

Bei diesem Unglück traten Stoffe zur Herstellung des Schädlingsbekämpfungsmittels Sevin, insbesondere Phosgen aus und dabei starben – je nach Zählweise – mittel- oder unmittelbar zwischen 3.800 und 20.000 Menschen. Außerdem wurden weitere 150.000 bis 600.000 Menschen teilweise schwer verletzt oder chronisch krank.

Aufgrund der niedrigen Sicherheitsvorschriften hatte die UCC den Produktionsstandort für Sevin in das Billiglohnland Indien verlegt. Das Prinzip der Kostenminimierung bestimmte schließlich auch die Verhandlungen über die Entschädigungszahlungen zwischen den indischen Behörden und der UCC. Am Ende zahlte UCC eine Summe von 650 Millionen Dollar Schadensersatz an die indische Regierung, wobei die Opfer davon den geringsten Teil (ca. 500 Dollar pro Kopf) ausbezahlt bekamen. Insofern stehen UCC beziehungsweise DCC bis heute in der Kritik, die Opfer bisher nicht ausreichend entschädigt zu haben. Darüber hinaus zeigt sich DCC nicht bereit, die Schadstoffe auf dem verseuchten Gelände zu beseitigen.

Dieses Ereignis ist die Vorgeschichte für die eingangs erwähnte Anfrage der BBC. Das Problem für die BBC begann in dem Moment, als der BBC-Journalist glaubte, „DowEthics.com“ würde tatsächlich so etwas wie die „Technikfolgenabschätzungs“-Webseite des Dow-Konzerns darstellen. Diese Annahme sollte sich am Ende als falsch herausstellen. Vielmehr wird diese Webseite von einer Gruppe namens „The Yes Men“ betrieben, die über die Namensgestaltung und mittels einer entsprechenden inhaltlichen Aufbereitung offenbar erfolgreich den Eindruck erwecken konnte, dass auf dieser Webseite tatsächlich Dow „spricht“. Aufgrund der Anfrage an „Dowethics.com“ beschlossen die Yes Men die Gelegenheit zu nutzen, um im Namen von Dow eine Erklärung abzugeben:

„Knowing Dow's history of gross negligence on this matter, we think it unlikely they will send a representative themselves—and if they do, he or she will likely only reiterate the old nonsense yet again, which will be depressing for all concerned. Yes, we'd better just do their PR for them.”

Da einer der Aktivisten der Yes Men in Paris lebt, vereinbarten sie mit der BBC die Durchführung des Interviews in Paris. Außerdem kündigten sie an, dass ein Dow-Sprecher namens „Jude Finisterra“ das Interview geben werde. Am Tag des Interviews zogen die Yes Men ihre Anzüge an und fuhren in das Pariser BBC-Studio. Schließlich sendete “BBC World Service” das Interview mit dem angeblichen Dow-Sprecher mit Eiffelturm als Kulisse. Der falsche Dow-Sprecher verlautbarte über die BBC, dass die Firma einen vollständigen Richtungswechsel einschlagen werde. Sie wolle nun die volle Verantwortung für das Bhopal-Desaster übernehmen. Um die Folgen des schlimmsten Industrieunfalls in der Geschichte zu mildern, kündigt Jude Finisterra einen Zwölf Milliarden Dollar-Plan an, mittels dem die Opfer entschädigt und das Gelände gereinigt werden solle. Außerdem wolle sich Dow für die Auslieferung des früheren verantwortlichen UCC-Managers an Indien einsetzen, der aus Indien geflohen war, um sich der drohenden Bestrafung zu entziehen.


Wahr, unwahr, falsch?

Nach der ersten Ausstrahlung des Interviews wollten die Yes Men das Dementi von Dow nicht abwarten, sondern verfassten ein gefaktes Dementi, in dem sie jenen Klartext erfanden, der schließlich auch die später eingenommene Position von Dow in expliziterer Weise antizipierte. Sie vermuteten zunächst, dass der Fake unmittelbar nach der ersten Ausstrahlung entdeckt werden würde. Tatsächlich strahlte der Sender das Interview noch ein zweites Mal in voller Länge im Fernsehen und in Auszügen auch über verschiedene Radiostationen der BBC am gleichen Morgen aus. Nach zwei Stunden veröffentlichte Dow Chemical ein eigenes Dementi. Zwei Stunden blieb die Nachricht die Topmeldung in den Google-News . An der Frankfurter Börse erlitt die Dow-Aktie einen Einbruch um 3,4 Prozent auf 37 Euro (was ungefähr einem Verlust von zwei Millionen Dollar entsprach). Nachdem Dow sehr entschieden die Nachricht zu seiner angeblichen Bereitschaft der Entschädigung dementierte, blieb diese Reaktion die Top-Nachricht des Tages der Google-News. Auch das gefakte Dementi erregte Aufsehen und wurde in den Medien mitunter für bare Münze genommen.
Die BBC dementierte ihren eigenen Bericht, nachdem offensichtlich geworden war, das Jude Finisterra keineswegs ein Sprecher von Dow Chemical gewesen ist:

„The individual was contacted by the BBC, and during a serie of phone calls, claimed, that there would be a significant announcement to be made on behalf of the Dow Chemical company. He gave no further detail until the live interview, broadcast from the BBC’s Paris bureau this morning. (...) This interview was inaccurate, part of an elaborate deception. It is now clear that the person did not, in fact, represent the Dow company and we want to make clear that the information he gave was entirely inaccurate.“

Die BBC entschuldigte sich bei Dow und bei den Zuschauern, die durch die Berichterstattung irregeführt worden seien. Dow selbst erklärte gegenüber der BBC: „Dow confirms there was no basis whatsoever for this report. We also confirm Jude Finisterra ist neither an employee nor a spokesperson for Dow.“
In der Medienberichterstattung interessierte vor allem, dass die BBC einem „Hoax“ beziehungsweise einem Fake aufgesessen sei. Das erklärt sich vor allem über das journalistische Ansehen, das die BBC genießt und die Seriosität, für die sie steht:

„The BBC's worldwide reputation for accuracy took a blow yesterday after it broadcast an interview with a hoaxer who claimed to offer a $12bn settlement to the 120,000 surviving victims of the Bhopal disaster.“

Eine weitere Erklärung der Stoßrichtung dieser Berichterstattung könnte der Konflikt der BBC mit der Regierung Blair über den Fall Gilligan/Kelly sein. Im Zusammenhang mit dem Irak-Krieg verlor die BBC eine juristische Auseinandersetzung gegen die Regierung. Ungeachtet dessen, dass wahrscheinlich „die ‚Tante BBC’ näher an der Wahrheit lag als die Spindoktoren der britischen Regierung“ (Krempl 2004b) liefert der Dow Chemical-Fake einen weiteren Anlass: „Nun gibt es wieder Zweifel an der Zuverlässigkeit der BBC.“
In einer kulturwissenschaftlichen Perspektive interessiert allerdings weniger die Frage nach dem journalistischen Handwerkszeug, als vielmehr nach dem, dem Fake zugrunde liegenden Kommunikations- und Handlungsmuster und dessen sozio-technische Grundlage.


Scheinbar wahr und un-wahr: „Identity correction“

Die Yes Men verwendeten diese Methode beim Dow Chemical-Fake nicht das erste Mal. Ihre politischen Ziele lassen sich im Umfeld der globalisierungskritischen Bewegungen ansiedeln. Ihr besonderes Augenmerk gilt den „Big Corporations“, den multinationalen Konzernen, deren Macht sie mit ihren Aktionen entgegentreten wollen. Andy Bichelbach und Mike Bonnano, die beiden zentralen Akteure der Yes Men, stammen zudem aus dem Umfeld von „RTMark“ („ArtMark“ ausgesprochen), einem Projekt und Netzwerk, das sich das „Corporate America“ zum politischen Gegner auserkoren hat. RTMark wiederum betreibt „Fundraising“ für Aktionen wie dem Dow Chemical-Fake.
Bereits seit einiger Zeit nutzen die Yes Men im Internet das Mittel der Namensgestaltung und einer entsprechenden Aufbereitung von Inhalten im Sinne eines Fakes bestehender Webseiten etwa der World Trade Organisation (WTO) oder von US-Präsident George W. Bush. Dabei gelang es ihnen den Eindruck zu erwecken, dass auf den von ihnen betriebenen Yes-Men-Webseiten tatsächlich diejenigen „sprechen“, zu denen sie mit semantischen Mitteln eine Nähe herstellen.

Im angelsächsischen Sprachraum wird eine solche Aktion auch als „Hoax“ oder „Prank“ bezeichnet. Unabhängig von der jeweiligen Bezeichnung kann der Fake als eine der zentralen Techniken der so genannten Kommunikationsguerilla angesehen werden (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1997, 65; vgl. a. Kleiner 2005). Kommunikationsguerilla ist der Oberbe-griff für sehr verschiedene Aktionsformen wie Culture Jamming, Unsichtbares Theater, Graffiti, Happening, Tortenwerfen oder Crossdressing, die hierbei mit symbolischen Mitteln öffentlich interveniert:

„Das Konzept Kommunikationsguerilla ist ein Mix aus Ideologiekritik und einer handlungstheoretisch orientierten Theorie der Medienaneignung, deren Referenzpunkte die Arbeiten von Eco und de Certeau sowie implizit die Thesen der Cultural Studies zur kreativen und eigensinnigen Medienrezeption sind“ (Kleiner, 2005, 358).

Im Kontext von Kommunikationsguerilla wird dabei immer wieder ein Satz von Roland Barthes zitiert: „Ist die beste Subversion nicht die, Codes zu entstellen, statt sie zu zerstören?“ Das bezeichnet ein politisches Selbstverständnis, in dem Hegemonie und Macht nicht durch Aufklärung („Wissen ist Macht“) und Gegenöffentlichkeit kritisiert wird. Das meint, der „Wahrheit“ soll nicht mit den „richtigen“ Fakten und „wirklichen“ Informationen zu ihrem Recht verholfen werden, vielmehr sei das Ziel, die „kulturelle Grammatik“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1997, 14 ff.) der Inszenierungen von Macht und Herrschaft zu unterlaufen und zu delegitimieren.

Zentral sind dabei die fortgeschrittenen Kulturtechniken der Camouflage, Imitation, Verfremdung, Entwendung, Umdeutung und Übertreibung „herrschender Sprachformen“: Ein Fake „ahmt die Stimme der Macht möglichst perfekt nach, um für einen begrenzten Zeitraum möglichst unentdeckt in ihrem Namen und mit ihrer Autorität zu sprechen“. Die Yes Men sprechen in diesem Zusammenhang von „Identity Correction“ (The Yes Men 2004, 11 ff.). Hierzu gehört auch die Fälschung amtlicher Schreiben. Das Ziel ist „allerdings nicht in erster Linie eine unmittelbare materielle Wirkung“ zu erreichen oder „sich selbst Vorteile (zu) verschaffen“. Vielmehr soll ein Kommunikationsprozess ausgelöst werden , für den die Aufdeckung der Fälschung geradezu die Voraussetzung darstellt. Die Wirksamkeit eines Fakes entsteht häufig erst im Prozess seiner Aufdeckung. Außerdem wird häufig billigend in Kauf genommen, dass zahlreiche Fakes zumeist am Rande oder außerhalb der Legalität agieren. Das politische Anliegen verleiht dem Fake wiederum jene „höhere“ Legitimität, die in vielen Fällen dazu führt, dass die Gefakten auf eine juristische Verfolgung verzichten.
Die Möglichkeit „im Namen der Macht zu sprechen“ (ebd., 67) ergibt sich aus der Verwendung von Zeichen, „die für die Macht reserviert sind“. Die Yes Men schufen im Internet mit eine Webseite, die im Hinblick auf die Professionalität der handwerklich-grafischen wie der sprachlichen Machart auf die dann tatsächlich stattgefundene Verwechselung bereits abzielte. Die Verwechselung des BBC-Journalisten bildete die Voraussetzung für das TV-Interview mit dem nicht-existierenden Sprecher von Dow Chemical, Jude Finisterra. Ein weiteres Beispiel ist die Webseite , die den alten Namen der WTO trägt. Sie eröffnete den Yes Men bereits im Jahr 2000 die Möglichkeit als falsche WTO-Vertreter auf internationalen Konferenzen aufzutreten. Auf diese Weise realisierten sie mehrfach jene aktivistische Philosophie der Kommunikationsguerilla , die besagt, dass es mit falschen Informationen „wahre Ereignisse“ zu schaffen gelte:

„Wir befinden uns auf einem Feld, wo dauernd all diese Fiktionen gesponnen werden. Und so werden schließlich wir ein bisschen kreativ in Hinblick darauf, wie WIR Fiktionen erzeugen, um an eine Wahrheit heranzukommen. Wie bei unserem Konzept der ‚identity correction’, der ‚Identitäts-Korrektur‘: Jemandes Identität annehmen - was beinhaltet, dass man Informationen fälscht - und sich als jemand ausgeben, mit dem Endziel, etwas über diese Leute offen zu legen. Es geht also darum, an eine Wahrheit heranzukommen, aber unter der Benutzung derselben Waffen der Fiktion, die die Leute AN der Macht die ganze Zeit auch benutzen.“ (Willmann 2004)

Das politische Ziel ihres Fakes ließe sich somit dahingehend zusammenfassen, dass es den Yes Men kurz vor dem 20. Jahrestag der Bhopal-Katastrophe vor allem darum ging, Dow Chemical zu zwingen, sich zu den Folgen des Unglücks öffentlich zu äußern:

„Instead we settle on having the impossible Jude announce a radical new direction for the company, one in which Dow takes full responsibility for the disaster. We will lay out a straightforward ethical path for Dow to follow to compensate the victims, remediate the site, and otherwise help make amends for the worst industrial disaster in history.“

Für Dow Chemical gab es nach der Ausstrahlung des Fake-Interviews zwei Möglichkeiten der Reaktion. Entweder ein Dementi oder eben den von den Yes Men vorgezeichneten Weg des ethischen Handelns aufzunehmen und fortzusetzen. Dow Chemical dementierte und musste einen weiteren Imageschaden hinnehmen.


Kontext und Text

„Kommunikationsguerilla“ ist eine Form des Aktivismus und Protestes, die zwar bereits vor dem Internet existierte (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1997), aber durch die anhaltende Diffusion netzbasierter Kommunikation sowie durch das Aufkommen der transnationalen sozialen Bewegungen einen weiteren Schub erhalten hat (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 2003, 95).

„Kommunikationsguerilla unterscheidet sich von traditionellen politischen Aktionsformen dadurch, dass sie bewusst die Bedeutungsdichte von Bildern und Narrationen ausschöpft.“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 2003, 97)

Daher setzen sich Kommunikationsguerilla-Aktionen insbesondere mit den Rezeptionsbedingungen von (oppositionellen) politischen Inhalten und der (Un-)Möglichkeit von Gegenöffentlichkeit auseinander. Neu sind nicht die Praktiken solcher Aktionen, innovativ ist aber ein Verständnis von Gegenöffentlichkeit, in dem nicht mehr unterstellt wird, dass den Subjekten nur die Fakten präsentiert werden müssten, damit sie entsprechend „vernünftig“ oder „rational“ handeln würden. Vor diesem Hintergrund eröffnen gerade die Kommunikationsbedingungen im Internet und insbesondere die Kontextarmut netzbasierter Kommunikation Spielräume für Verfremdungen aller Art, die ein zentrales Prinzip dieses politischen Kommunikations- und Handlungsmusters darstellt:

„In gewisser Hinsicht bietet für bestimmte Sorten von Fakes das Internet derzeit sehr gute Ausgangsbedingungen, weil es bestimmte Rückversicherungsmöglichkeiten der face-to-face-Kommunikation nicht gibt, bzw. andere Formen noch nicht entwickelt wurden.“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 1998)

Die aus der „Kanalreduktion“ resultierende Kontextarmut von netzbasierter Kommunikation wird hierbei dazu genutzt, um im Namen eines anderen oder des politischen Gegners zu sprechen und damit Ereignisse zu provozieren, die nicht im Interesse desjenigen sind, in dessen Namen gesprochen wird, ihn bloßstellen oder in Misskredit bringen.
Der semantische Hintergrund besteht darin, dass die Nutzung des Internet vor allem auf der Basis von Labels und Namen erfolgt. Sie helfen bei der Orientierung. Die World Trade Organisation (WTO) wird im Internet nicht deshalb gefunden, weil ihr Gebäude im Internet unübersehbar ist, sondern weil das bekannte Signet WTO den Weg zum virtuellen Ort der Organisation weist und damit einen Bezug zu den Inhalten der WTO auf der entsprechenden Webseite herstellt beziehungsweise eben nur verspricht. Eine zentrale Voraussetzung für die Sichtbarkeit und Auffindbarkeit großer und bekannter Institutionen und Organisation im Internet ist die Besetzung von Zeichen und Symbolen. Allerdings ist der Raum der Zeichen und Symbole im Internet nicht eindeutig. Während im „Real Life“ kleinere Gruppen und Organisationen mit ihrem eigenen Gebäude kaum eine Verwechselung erhoffen können, sieht das bei einer semantischen Nachbarschaft im Internet zu mächtigen Institutionen ganz anders aus.

Aktivisten wie die Yes Men suchen daher im Internet semantische Anknüpfungspunkte, um Kritik an mächtigen Organisationen und Institutionen zu artikulieren. Aufgrund der relativen Kontextlosigkeit (im Hinblick auf die sinnliche Beschaffenheit des Kommunikationsaktes) des Internet bringen sie arglosen Netznutzern wie dem BBC-Journalisten ihre eigenen Informationen nahe:

„AktivistInnen können im vieldimensionalen Zeichenraum des Netzes erreichen, was im realen Straßenraum undenkbar wäre – beispielsweise eine hundert Meter hohe Wagenburg in der Nachbarschaft des Towers der Deutschen Bank zu errichten.“ (autonome a.f.r.i.k.a.-gruppe 2004).

Insofern zwingen Aktionen wie der Dow Chemical-Fake die NetznutzerInnen immer wieder zu der Frage, ob das alles seine Richtigkeit hat und tragen damit implizit zur Entwicklung weiterer Medienkompetenz und Medienerziehung bei:

„Während im Literaturbetrieb das Ende der genauso apolitischen wie selbstinszenatorischen Popkultur ausgerufen wird, gibt es im Internet einen Polit-Pop, der mit bösen Mitteln gute Werke tut. Da werden Webseiten gefälscht, da werden Falschmeldungen in Umlauf gebracht, da geben sich Künstler als Politiker aus. Aber die Inszenierung ist nicht Selbstzweck. Die Hochstapelei erfolgt im Dienst der Aufklärung und dient der Vermittlung von Medienkompetenz. Es geht um die Erziehung zum Misstrauen.“ (Simanowski 2001)

Dieses Misstrauen gegenüber dem Kontext von Text wird in Zukunft eine zentrale Voraussetzung für das Sammeln, Sichten und Filtern von Informationen, der basalen Kulturtechnik im digitalen Zeitalter.

Soziokultureller Wandel

Unabhängig davon, ob diese Deutung tatsächlich das Anliegen von Aktivisten wie den Yes Men trifft, ist die medienkulturelle Technik des Fakens tatsächlich mehr als ein „Prank“, ein „Hoax“ oder gar eine „Urkundenfälschung“. Die Fakes der Yes Men verweisen sowohl auf die gegenwärtigen technischen Kommunikationsbedingungen von politischem Aktivismus und sozialem Protest als auch auf den Bedeutungszuwachs (nicht nur) politischer symbolischer Praxen. Die Praktiken der Yes Men unterstreichen außerdem, dass der soziokulturelle Wandel hinsichtlich der politischen Handlungs- und Kommunikationsmuster nicht etwa in der Substitution des „Real Life“ durch das „Virtual Life“ besteht, sondern vielmehr als Ineinandergreifen verschiedener Räume oder „Sinnregionen“ (Schütz/Luckmann 1979, 49) im Sinne einer „Kultur der realen Virtualität“ (Castells 2001, 376 ff.) zu verstehen ist.

Die in den letzten Jahren verstärkt auftretenden Kommunikationsguerilla-Aktionen sind darüber hinaus nicht mehr als eine „Übertragung“ bestehender politischer Kommunikations- und Handlungsmuster aus dem „Real Life“ in das Internet. Vielmehr ermöglichen das Internet und seine technischen Bedingungen eine Neuzusammensetzung (Rekombination) des Fakes unter gewandelten technischen Voraussetzungen von Kommunikation (Schönberger 2005). Die Yes Men stehen für einen Netzaktivismus, der die technischen Bedingungen des Internets für die Entwicklung neuer oder erweiterter (rekombinanter) Protestformen nutzt. Dabei konzipieren sie das Internet zugleich als einen politischen Handlungsraum mit einem spezifischen Politikverständnis. Eine Voraussetzung für den Bedeutungsschub, den solche Aktionen in den vergangenen Jahren erhalten haben, ist aber auch, dass es eine kritische Masse jener „Symbolanalytiker“ gibt, die über entsprechendes kulturelles Kapital verfügen und solche Formen anspruchsvollen Protestes auch durchführen können. Das Wachsen des IT-Sektors und entsprechender Dienstleistungen bilden hierfür die sozialen Voraussetzungen.