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Cover der Allmendeausgabe

Leo Kühberger
„Alte“ und „neue“ Commons in Zeiten der Krise.
Eine Forschungsskizze zu Agrargemeinschaften in Österreich

 

Mit dem Zusammenbruch der „Lehman Brothers“ im September 2008 haben sich die krisenhaften Tendenzen der letzten Jahrzehnte weiter zugespitzt. Dieser neuerliche Krisenausbruch, der die gesamte Weltwirtschaft miteinschließt und die rasche Zunahme an Protesten gegen die wenig später durchgesetzte Austeritätspolitik hat die Diskussion um politische, wirtschaftliche und soziale Alternativen befördert. In den Praktiken Sozialer Bewegungen und einer Vielzahl konkreter Projekte spielt die Frage der Commons, des Gemeineigentums, zunehmend eine Rolle. Begleitet wird dies durch einschlägige Publikationen und Konferenzen. Eingangs werde ich eine grundsätzliche Bestimmung des Themas und der damit einhergehenden Probleme und Widersprüche vornehmen, um danach die Geschichte der „alten“ Commons auf der einen und die Genese der „neuen“ Commons auf der anderen Seite in aller Kürze nachzuzeichnen. Daran anschließend werde ich in einer kurzen Skizze Fragen erörtern, die sich daraus für die kulturanthropologische Forschung ergeben.

 

Mit Zügen von Blut und Feuer

Trotz der angesprochenen Veränderungen sind die Commons in Europa lediglich ein Thema für eine kleine Zahl von Aktivist_innen und Wissenschafter_innen, obwohl sie in vielerlei Hinsicht im Zentrum der Auseinandersetzung um die aktuelle Krise und mögliche Auswege aus derselbigen stehen. In den Commons verdichten sich grundlegende Probleme und Widersprüche des kapitalistischen Weltsystems. Die kapitalistische Produktionsweise kann als Durchsetzung spezifischer historischer Formen der Vergesellschaftung gelesen werden: Materielle wie immaterielle Güter erscheinen in Waren-Form, Arbeit in der Form von Lohnarbeit und Eigentum als Privateigentum. Dieses Wirtschaftssystem ist aus einem strukturellen Zwang heraus dazu verdammt eine ständige Expansion voranzutreiben. Das gilt nicht nur in räumlicher Hinsicht, sondern auch dergestalt, dass immer größere Teile des Lebens an sich warenförmig organisiert werden. Wir können also einen fortschreitenden Prozess der Kommodifizierung beobachten dem de-kommodifizierende Praxen oder noch nicht kommodifizierte Bereiche entgegenstehen. 

Karl Marx kommt am Ende des Ersten Bandes seines Hauptwerks „Das Kapital“ auf die Commons zu sprechen und beschäftigt sich insbesondere mit den Einhegungen der frühen Neuzeit. Er diskutiert diese Entwicklungen als „sogenannte ursprüngliche Akkumulation“[1] und entwickelt damit eine Gegenerzählung zur Geschichte des Übergangs vom Feudalismus zum Kapitalismus, denn dieser kann nicht damit erklärt werden, dass es „auf der einen Seite eine fleißige, intelligente und vor allem sparsame Elite (gab), und auf der andren faulenzende, ihr alles und mehr verjubelnde Lumpen“[2], sondern er betont, dass „die Methoden der ursprünglichen Akkumulation alles andre, nur nicht idyllisch“[3] waren. Die Durchsetzung dieser neuen Vergesellschaftungsformen „(...) ist in die Annalen der Menschheit eingeschrieben mit Zügen von Blut und Feuer.“[4] Ganze Landstriche wurden entvölkert, man beraubte die Bäuer_innen der Commons und erschuf auf diesem Wege das moderne Privateigentum. Diese neue Eigentumsform wurde durch entsprechende Gesetze rechtlich abgesichert und es wurde dafür Sorge getragen, dass die ehemaligen Commoners ihre Arbeitskraft auch tatsächlich am Markt feilboten und wenn „der stumme Zwang der ökonomischen Verhältnisse“[5] dafür nicht ausreichte, verabschiedete man „grotesk-terroristische Gesetze“[6], die den  Lohnarbeiter und die Lohnarbeiterin gewaltsam hervorbrachten. Diese Entwicklungen, so betont Silvia Federici, können nur angesichts der tiefen Krise des Feudalismus verstanden werden. Die Vergesellschaftungsformen des Kapitalismus waren die Krisen-Antwort der feudalen Eliten auf die sozialen Kämpfe dieser Zeit.[7] Es bedarf dieser beiden gesellschaftlichen Formen, der Lohnarbeit und dem Privateigentum, damit wir überhaupt erst von der kapitalistischen Produktionsweise im engeren Sinne sprechen können. Der Kampf um die Commons markiert demnach den Beginn der Geschichte des Kapitalismus.

Marxens Ausführungen über diese Transformationen wurden in der Rezeption seines Werkes im 19. und 20. Jahrhundert als historische Darstellung und als abgeschlossener Prozess gelesen und als Vorgeschichte zum Kapitalismus verstanden.[8] Massimo de Angelis und andere Commons-Forscher_innen legen den Schwerpunkt der Betrachtung aber auf die angesprochene Trennung der Produzent_innen von den Produktionsmitteln und das gesellschaftliche Verhältnis, das damit geschaffen wurde.[9] Dieses Verständnis verdeutlicht auch den Marx´schen Kapital-Begriff. Kapital ist kein Ding, nicht das Geld auf der Bank, das vielleicht investiert wird und Kapital ist auch nicht die Fabrik, die auf die grüne Wiese gestellt wird, sondern ein gesellschaftliches Verhältnis, das stets aufs Neue durchgesetzt werden muss. Im besonderen Maße ist das in Zeiten der Krise der Fall. Eine forcierte „ursprüngliche Akkumulation“, ein intensiviertes Vorantreiben dieses Trennungsprozesses, dient dazu die Akkumulationsbedingungen zu verbessern und der Einbrüche der Profitabilität Herr zu werden.

Commons in der Krise

Die neue Landnahme im globalen Süden, in Weltregionen, die noch immer über einen hohen Anteil an kommunalem Land verfügen, war eine der unmittelbarsten Auswirkungen der Finanzkrise.[10] Das Landgrabbing unserer Tage ist den Einhegungen der frühen Neuzeit sehr ähnlich. Die Kämpfe um die „digitalen Commons“, die im globalen Norden viel zentraler erscheinen, haben auf den ersten Blick wenig mit den Kämpfen um Ackerland in Madagaskar oder Tanzania zu tun, im Kern geht es aber um den selben Prozess: der Trennung der Produzent_innen von den Produktionsmitteln.

Dieser Trennungsprozess stößt jedoch an eine stets neu auszuverhandelnde Grenze, denn „trotz seiner ideologischen Aversion gegen das Gemeinsame kann das Kapital allerdings nicht ohne es auskommen, und heute wird das immer deutlicher.“[11] Ungeachtet der hegemonialen Stellung der Waren-Form bedarf „erfolgreiche“ Akkumulation eines nicht-warenförmigen „Aussen“. Ohne dieses "Aussen", das Kommune, gibt es keine Gesellschaft. Deutlich wird das an der Care-Arbeit. Angestoßen durch feministische Kämpfe und eine breite Verweigerung der unentgeltlichen Sorgearbeit werden Kinder und alte Menschen heute in viel geringerem Ausmass im Familienverband, was in der Regel gleichbedeutend damit war, dass Frauen diese Arbeit unbezahlt leisten mussten, sondern in entsprechenden Einrichtungen betreut. Es wäre jedoch vollkommen ausgeschlossen jedwede Sorgearbeit warenförmig zu organisieren, weil dies den Wert der Ware Arbeitskraft in derartige Höhen treiben würde, dass ein profitabler Akkumulationsprozess einfach nicht mehr möglich wäre. Es bedarf letztendlich dem Kommunen, dem Zugriff auf das Nicht-Warenförmige, um dies zu gewährleisten. Aus diesem Grund erleben wir mit Fortgang der Krise immer intensivere Auseinandersetzungen um die Reproduktion der Arbeitskraft.

Diese Auseinandersetzungen sind vielschichtig. In der Krise sind nicht nur die „alten“ und „neuen“ Commons in Bedrängnis geraten, sondern auch das Öffentliche Eigentum. In den Jahren 2008 und 2009 waren neoliberale Politiken zwar auf ideologischer Ebene diskreditiert, da der drohende Kollaps der Weltwirtschaft deutlich gemacht hat, welche Risiken eine Politik der Deregulierung, Privatisierung und Flexibilisierung in sich birgt, doch wurde nach einem kurzen Schock sehr rasch auf die alten Rezepte der Wirtschaftspolitik zurückgegriffen und vielerorts, wie in Griechenland, wurde das Tempo sogar noch erhöht. Die Austeritätsprogramme der Europäischen Union gehen stets mit einer forcierten Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und dem erzwungenen Verkauf Öffentlichen Eigentums einher.

Öffentliches Eigentum als Commons zu begreifen wäre irreführend, doch sind damit in der Regel Eigentumsformen verbunden, die sich den Logiken privatwirtschaftlicher Konkurrenz zum Teil entziehen. Aufgrund der Zerschlagung des öffentlichen Gesundheitswesens sind in Griechenland eine Vielzahl von Projekten und Initiativen entstanden, die Commons im engeren Sinne bilden. In selbstverwalteten "Solidaritätskliniken"[12] wird Menschen, die über keine Krankenversicherung mehr verfügen, kostenlos medizinische Versorgung geboten. Diese Kliniken sind zum einen ein beeindruckendes Beispiel für eine konkrete Alternative und dafür, wie die Gesundheitsversorgung anders organisiert werden kann, weil sie in den Stadtteilen verankert sind und nicht nur als Alternative zum privaten Gesundheitssektor, sondern auch zur „Gerätemedizin“ in den Öffentlichen Krankenhäusern wahrgenommen werden. Zum anderen funktionieren sie nur durch Spenden und ehrenamtliches Engagement und damit sind sie ein günstiger Ersatz für das Öffentliche Gesundheitswesen.

Commons können also eine sehr widersprüchliche Rolle spielen. Sie sind nicht nur Oasen eines anderen Lebens, sondern taugen durchaus auch als herrschaftliche Strategie. Die vom englischen Premier David Cameron proklamierte „Big Society“ weist in eben diese Richtung. An die Stelle sozialstaatlicher Absicherung tritt das ehrenamtliche Engagement derer, die es sich leisten können oder jener, die dazu gezwungen werden, weil die verbliebenen Transferleistungen an diesen Einsatz geknüpft werden.

Macht und Widerstand der Commoners

Der widersprüchliche Charakter der Commons ist mit der Frage nach der Eigentumsform noch nicht überwunden, denn „Commons sind eine soziale Beziehung und sie entstehen aus einer sozialen Praxis, die wir Commoning nennen, die gemeinsame Sorge um etwas, sei es ein Gemeinschaftsgarten, ein genossenschaftliches Unternehmen oder der freie Internetzugang.[13] Von entscheidender Bedeutung ist demnach die Art und Weise, wie die Commons organisiert sind, welche gesellschaftlichen Prozesse damit verbunden sind und ob diese in der Lage sind die Macht und Widerstandskraft der Arbeiter_innen oder der Commoners zu stärken oder eben nicht. Es kommt auf die konkreten Aushandlungsprozesse und auf gesellschaftliche Positionierungen an.

Commons können ein Refugium außerhalb des Kapitalverhältnisses bilden, eine konkrete Alternative darstellen und die Bedingungen für Protest und Widerstand verbessern. In den Streiks des 19. und 20. Jahrhunderts waren nicht selten jene Arbeiter_innen am ausdauerndsten und erfolgreichsten, deren Reproduktion nicht zur Gänze kommodifiziert worden war und die auf Formen des Gemeinguts zurückgreifen konnten, einfach, weil sie damit ihre Subsistenz sicherstellen konnten und sich damit in der Position befanden auch ohne ihren Lohn durchhalten zu können.

Im selben Moment senken aber Commons den Wert der Ware Arbeitskraft. Dieser bestimmt sich über die durchschnittlich notwendige Menge an Lebensmitteln, ist regional und zeitlich unterschiedlich und zudem abhängig vom Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. Wenn Arbeiter_innen sich nun abseits des Marktes und damit jenseits des Lohns mit Lebensmitteln versorgen können, sinkt dadurch der Wert der Ware Arbeitskraft. So waren Arbeiter_innen aus ländlichen Gegenden oft in der Lage zu schlechteren Löhnen zu arbeiten, weil sie ihr Land noch bewirtschaftet haben und sich (zum Teil) selbst versorgen konnten. Nicht selten waren es aber diese ländlichen Arbeiter_innen, die gewisse Bedingungen und Anforderungen nicht akzeptiert haben, weil sie über die Sicherheit dieser konkreten Alternative verfügen konnten. Commons können also eine Alternative zum bestehenden Wirtschaftssystem darstellen, zugleich damit aber sehr gut Hand in Hand gehen. Wenn Commons kein Ort des Widerstands und der Gegenmacht sind, lassen sie sich sehr wohl in das bestehende Wirtschaftssystem integrieren oder können sogar Teil eben jener Logiken werden, die eigentlich kritisiert werden und aus deren Negation heraus sie entstanden sind.

Die „alten Commons“ der Steiermark

Die Beschäftigung mit den Commons konzentriert sich in der Regel auf die „neuen“ Commons, ob es sich nun um „digitale Commons" handelt oder in den letzten Jahren sehr zahlreich entstandene Initiativen wie Gemeinschaftsgärten oder Kost-Nix-Läden in urbanen Räumen oder Projekte der Solidarischen Ökonomie im landwirtschaftlichen Bereich. Weit weniger Beachtung finden die „alten“ Commons in Form der Agrargemeinschaften. In Österreich gibt es laut der letzten Erhebung 4.190 als juristische Personen eingetragene Agrargemeinschaften.[14] Diese bewirtschaften eine Fläche von rund 960.000 Hektar. Das sind immerhin 13% der land- und forstwirtschaftlichen Fläche Österreichs. In den westlichen Bundesländern spielen Agrargemeinschaften traditionell die größte Rolle. In Vorarlberg ist sogar rund die Hälfte der landwirtschaftlichen Fläche in der Hand von Agrargemeinschaften.

In der Steiermark beläuft sich ihre Zahl auf 670 mit einer Gesamtfläche von 75.000 Hektar. Bei einer landwirtschaftlichen Fläche von 1,5 Mio. Hektar ergibt das einen Anteil von 5%. Nachdem aber das Gros der Agrargemeinschaften aus Almen und Wald in der Obersteiermark besteht ist ihre Bedeutung in dieser Region noch mal höher anzusetzen. Bezüglich der Größe und der Zahl der Mitglieder bestehen eklatante Unterschiede. Kleinere Agrargemeinschaften haben nur eine Handvoll Mitglieder, einige aber mehr als 200. Viele bewirtschaften gerade mal zehn oder zwanzig Hektar. Die Leobner Realgemeinschaft ist hingegen mit 6.670 ha einer der größten Forstbetriebe im Land.

Die Agrargemeinschaften sind die Überreste der historischen Allmende. Das Eigentum an Grund und Boden war stark von der tatsächlichen Nutzung abhängig: „Das Obereigentum am Boden gehörte dem Grundherrn, das Nutzungseigentum dem Bauern.“[15] Bei der „Gmain“, also dem Gemeineigentum, handelte es sich in der Regel um die Wälder und Weiden, die das Dorf umgaben und von allen Dorfbewohner_innen genutzt werden konnten. Die schwer zugänglichen Regionen in den Bergen blieben meistens herrenlos, da sie auch nur einen geringen ökonomischen Nutzen hatten. Diese „Hoch- und Schwarzwälder“ konnten ebenfalls von jedermann und jederfrau genutzt werden. Erst durch den Aufschwung des Bergbaus und die Entstehung urbaner Räume stieg der Holzbedarf und die bisher wenig genutzten Hochwälder wurden ökonomisch interessant und in der Folge durch den Adel expropriiert. Diese Expropriation in den Bergen war eine der Ursachen, warum die Auseinandersetzungen um die eigentliche „Gmain“ nicht so intensiv geführt wurden wie um die Commons in England, die im Zuge der Enclosures auf eine sehr brutale und umfassende Art und Weise angeeignet wurden.

Durch den Verlust der Hochwälder waren die Bäuer_innen unter Druck geraten und reichten diesen sozusagen innerhalb des Dorfes weiter. Die Reformen des 18. und 19. Jahrhunderts sorgten dafür, dass die Keuschler_innen und Tagelöhner_innen, also all jene, die nicht über einen die eigene Subsistenz erhaltenden Grund und Boden verfügten aus der Nutzung des Gemeineigentums ausgeschlossen wurden. Im Zuge der Grundentlastung nach der Revolution von 1848 verloren die ärmeren Schichten das Recht auf die „kleine Forstnutzung“, das beispielsweise das Sammeln von Brennholz beinhaltete. Eine weitere Zäsur stellte die Gemeindeordnung von 1849 dar: Aus den Realgemeinden wurden Einwohner_innengemeinden und das Landproletariat war von den Wahlen ausgeschlossen. Ein Teil der alten "Gmain" wurde durch Bäuer_innen individuell angeeignet, ein anderer Teil ging nach und nach in den Besitz der Agrargemeinschaften über, die oft von wohlhabenderen Bauern und Bäuerinnen dominiert waren und damit den endgültigen Ausschluss vieler Dorfbewohner_innen aus der Nutzung des Gemeineigentums besiegelten.[16]

Agrargemeinschaften als Feld kulturanthropologischer Forschung

In der einschlägigen Literatur über Commons werden Agrargemeinschaften nur am Rande erwähnt und es wird darauf verwiesen, dass sie „von einer solidarökonomischen Perspektive in der Regel weit entfernt sind.“[17] Dieses Urteil scheint vorschnell, nicht zuletzt deswegen, weil die kulturanthropologische Forschung zum Thema weitgehend fehlt und die „alten Commons“ in Form der Agrargemeinschaften ja kein historisches Relikt sind, sondern eine sehr lebhafte und in manchen Regionen sehr bedeutende Gegenwart haben, die, wie das Beispiel des „Tiroler Agrarkriegs“ zeigt, von vielen Konflikten und Widersprüchen gekennzeichnet ist.[18] Neben der oben skizzierten grundlegenden Bedeutung der Commons in der Krise, knüpfen sich daran eine Reihe von Fragestellungen:

1. Die Mitglieder von Agrargemeinschaften verfügen über eine jahrzehntelange und über viele Generationen reichende Erfahrung des Commoning. Die Aushandlungsprozesse über die gemeinsame Sorge um den Wald oder die Weide wurden zwar im 19. und 20. Jahrhundert stark reguliert, doch ist davon auszugehen, dass die konkreten sozialen Praxen, die sich dahinter verbergen, sehr unterschiedlich sein können. Welche festgeschriebenen und nicht-festgeschriebenen Rechte und Pflichten für die Mitglieder bestehen, wie mit Konflikten und unterschiedlichen Interessen umgegangen wird und wie Entscheidungen getroffen und Verfehlungen geahndet werden, wäre wert näher betrachtet zu werden.

2. Angesichts der rasanten Veränderungen im ländlichen Raum („Bauernsterben“) stellt sich die Frage, ob und in welchem Ausmaß Agrargemeinschaften und andere Formen des Gemeineigentums diesen Prozess abschwächen, denn für viele Bäuer_innen ist ihr Anteil an der Agrargemeinschaft ein notwendiges Mittel um ihr Weiterbestehen zu sichern. Besonders angesichts des in Österreich sehr hohen Anteils an Großgrundbesitz durch die katholische Kirche und den ehemaligen Adel, gilt es die so antiquiert erscheinende Landfrage neu zu stellen.

3. In den "neuen" Commons bemüht man sich durch eine enge Zusammenarbeit verschiedener Projekte eigene Wirtschaftskreisläufe abseits des Marktes zu schaffen. In manchen Agrargemeinschaften werden durch die Erträge neben den Mitgliedern als gesetzlich definierte Nutznießer_innen auch kirchliche Einrichtungen unterstützt oder caritative Unternehmungen ermöglicht. Es wäre der Frage nachzugehen, welche Wirtschaftskreisläufe zwischen den Mitgliedern einer Agrargemeinschaft und den verschiedenen Agrargemeinschaften bestehen und ob sich hier Formen des Wirtschaftens, die über die herkömmlichen Tauschbeziehungen der kapitalistischen Produktionsweise hinausgehen, etabliert haben.

4. Angesichts der Geschichte der Agrargemeinschaften ist eine der zentralen Fragen die nach dem Kommunen und der Grenze hin zum Öffentlichen. Sollen in einer Gemeinde alle Zugang zu diesen Commons haben oder verbleibt der Zugang bei denen, die diesen historisch durchgesetzt haben? Damit in Zusammenhang steht natürlich die Klärung der grundsätzlichen Frage, wer denn überhaupt diese Commoners der Agrargemeinschaften sind.

5. Garret Hardin hat mit seinem Artikel „The Tragedy of the Commons“[19] die Wahrnehmung der Commons nachhaltig geprägt. Einer Parabel gleich wird das Bild des „homo oeconomicus“ gezeichnet, der nur nach seinem eigenen (ökonomischen) Vorteil handeln würde und es damit unmöglich wäre die Commons längerfristig zu erhalten, weil alle bestrebt wären mehr Vieh auf die Alm zu treiben oder mehr Holz zu schlägern. Die Agrargemeinschaften könnten hier eine veritable Gegenerzählung sein, anhand derer deutlich wird, dass Menschen eben nicht nur nach ihrem Vorteil handeln, sondern es langwierige Aushandlungsprozesse sind, die dafür sorgen, dass das Gemeingut langfristig und nachhaltig erhalten bleibt. Agrargemeinschaften weisen interessanterweise den geringsten Anteil an Biobetrieben auf, doch wäre hier der Vergleich zu machen, wie weit die Eigentumsform Einfluss darauf hat, ob die Ressourcen nachhaltig und ökologisch genutzt werden, denn ein besonderes Kennzeichen der Agrargemeinschaft ist ja, dass nicht das unmittelbare Profitinteresse im Vordergrund steht, sondern die Erhaltung der in Anspruch genommenen Ressourcen.

6. Nicht zuletzt sind auch die „alten Commons“ im Hinblick auf die aktuellen Krisen zu diskutieren, mit der Frage, welche Veränderungen sich dadurch ergeben und, ob sie ebenfalls zur Disposition stehen.

 


[1]  Siehe: Marx, Karl: Das Kapital. Kritik der Politischen Ökonomie, Band 1 (=MEW Bd. 23), Berlin 1984, S. 741-791.

[2] Ebda., S. 741.

[3] Ebda., S. 742.

[4] Ebda., S. 743.

[5] Ebda., S. 765.

[6]  Ebda., S. 765.

[7] Vgl. Federici, Silvia: Caliban and the Witch. Women, the Body and Primitive Accumulation, Brooklyn 2004, S.21f.

[8] Vgl. De Angelis, Massimo: The Begining of History. Value Struggles and Global Capital, London 2007, S.133ff.

[9] Einen guten Überblick über diese Diskussion gibt die Nummer 2 der Web-Zeitschrift „The Commoner“: http://www.commoner.org.uk (Abgerufen am 12.2.2015)

[10] Vgl. Alden Wily, Liz: Globaler Landraub. Die neue Einhegung, in: Silke Helfrich und Heinrich Böll Stiftung (Hg.): Commons. Für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld 2012, S. 166-176.

[11] Negri, Antonio; Hardt, Michael: Common Wealth. Das Ende des Eigentums, Frankfurt/Main 2010, S.167.

[12] Unterstützer_innen der „Klinik der Solidarität“ in Thessaloniki betreiben eine eigene Website: http://www.klinik-der-solidaritaet.at (Abgerufen am 12.2.2015)

[13] Exner, Andreas; Kratzwald, Brigitte: Solidarische Ökonomie & Commons. INTRO. Eine Einführung, Wien 2012, S. 23.

[14] Siehe: Statistik Austria: Agrarstrukturerhebung 2010, Wien 2012, S.32. (Anm.: Die tatsächliche Zahl dürfte höher liegen, weil es nach wie vor nicht registrierte Agrargemeinschaften gibt.)

[15] Krammer, Josef; Rohrmoser, Franz: Im Kampf um ihre Rechte. Geschichte der Bauern und Bäuerinnen in Österreich, Wien 2012, S.14.

[16] Vgl. Schiff, Walter: Österreichs Agrarpolitik seit der Grundentlastung, Tübingen 1898, S. 182ff.

[17] Exner, Andreas; Kratzwald, Brigitte, wie Anm. 13, S. 94.

[18] Vgl. Keller, Alexandra: Schwarzbuch Agrargemeinschaften, Innsbruck 2009.

[19] Hardin, Garrett: The Tragedy of the Commons (http://www.sciencemag.org/content/162/3859/1243.full.pdf _ Abgerufen am 20.2.2015)