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Cover der Übergängeausgabe

Johanna Rolshoven
Gefährliche Übergänge
Exkurs über Freuden, Gefahren und gesellschaftliche Nützlichkeit des 'Passagenraumes'

Für Maks!

"Ich entsinne mich noch des Schauers, den mir in der Knabenzeit das Wort Durchgang einflößte. In den Büchern, die ich damals verschlang, war der dunkle Durchgang gewöhnlich die Stätte mörderischer Überfälle, von denen hinterher eine Blutlache zeugte, oder doch zum mindesten die passende Umwelt zweifelhafter Existenzen, die darin beisammen standen und ihre düsteren Pläne berieten." Siegfried Kracauer

'Das Schicksal des Überganges ist es, übergangen zu werden' - so hat es einmal der Basler Volkskundler Marius Risi in einer Übung zum Thema humorvoll auf den Punkt gebracht. Der Übergangsbegriff befand sich lange Zeit weder im Vordergrund des wissenschaftlichen noch des gesellschaftlichen Interesses. Auch die "Rites de Passage", das Hauptwerk des französischen Gelehrten Arnold van Gennep , das zu den grundlegenden Begriffsbildungen in Volkskunde und Ethnologie zählt, hat in die Annalen der Fachgeschichtsschreibung nur marginal Eingang gefunden. Eine derzeit vermehrte Thematisierung von Übergängen, wie sie sich auch im Motto dieser Kuckuck-Ausgabe niederschlägt, mag mit bestimmten Veränderungen unserer Lebensweise und ihren historischen Umständen zusammenhängen. Die Jahrhundert- und Jahrtausendwende löst Ängste aus und eine vermehrte Reflexion über das Phänomen der Veränderung.


"Übergänge sind zeitliche Zwischenräume mit hohem Unsicherheitspotential", heißt es in einer Tagungsankündigung zum Thema Schwellenzeiten. "Sie unterscheiden Altes von Neuem, Bekanntes von Unbekanntem, Vergangenes von Zukünftigem, Eigenes von Fremdem." Darin ähneln sie laufenden (juristischen) Verfahren mit unsicherem Ausgang, die sowohl Ängste als auch Hoffnungen wecken. Was hat es mit diesem Unsicherheitspotential auf sich? Anhand ethnologischer und sozialanthropologischer Interpretamente soll dieser Frage in Skizzenform nachgegangen werden. Eine Leitplanke bildet dabei die Benjaminsche Formulierung der städtischen Passage als Metapher, denn sie verweist auf die Raum-Zeitlichkeit, mag sein den Übergangscharakter, nicht nur der Erscheinungen, sondern auch der wissenschaftlichen Interessen.

Ähnlich wie Victor Turner und Mary Douglas, die sich in Anlehnung an die van Gennepschen "rites de marge" mit der sogenannten Liminalität und ihrer Funktion für die Gesellschaftsordnung befaßt haben , bezeichnet Pierre Bourdieu vor dem Hintergrund seiner am Symbolischen orientierten ethnologischen Untersuchungen die Schwelle als den Ort, an dem die Ordnung der Dinge umschlägt . Für Benjamin sind Schwellen Kraftzonen, "aus denen Liebende, Freunde, sich Kräfte zu saugen lieben" . In solchen Energiefeldern siedeln sich mit Vorliebe soziale Schwellenphänomene an, welche wiederum, vice versa, die Randzonen mit ihren eigentümlichen Kräften versorgen. Hier kann sich eine Verkehrung der Ordnung offenbaren, ein Wechselspiel zwischen "Struktur und Antistruktur", in dem sich das Eigentliche einer Gesellschaft, ihre implizite Ordnung und innere Struktur manifestieren . Zu ihrer rituellen Ausgestaltung mögen (Trennungs-)Ängste veranlassen , der Wunsch nach Stabilisierung eines bedrohten inneren Gleichgewichtes oder nach Abwehr 'böser Geister' . Ritualen als Palliativ liegt jedenfalls der Versuch einer Versicherung von ungewissen oder zugespitzten Situationen zugrunde.

Die genannten Ansätze haben als eine grundlegende Bedeutung des Überganges (nicht nur desjenigen zwischen Rand und Zentrum) seine existentielle Dimension herausgearbeitet, die dieser für den einzelnen in zeitlicher, sozialräumlicher und sogar körperlicher Hinsicht impliziert. Übergänge bezeichnen biographische Einschnitte, Brüche im Leben, wie die soziologische Forschung sie in ihren Auswirkungen auf die individuelle Lebensführung beschrieben hat . Hier wird die biographische Veränderung zu einem Indikator, der die Dimension des Wandels und der Wandlungsmöglichkeit, eben der Dynamik als wesentlichen Aspekt des Überganges bezeichnet.

Nicht alle individuellen biographischen Übergänge erfahren zu ihrer Bewältigung die kollektiv ritualisierten Hilfestellungen (und damit gleichzeitig auch gesellschaftliche Kontrolle) durch konventionell-normative Passagerituale, wie van Gennep sie beschrieb. Den meisten Übergangssituationen fehlen die Rituale, es sind "Passages sans rites", wie Christine Burckhardt-Seebass sie für Trennungssituationen skizziert hat . Eine Fülle von banalen bis zugespitzten Alltagsübergängen ist hiervon betroffen bis hin zu den prekären Formen, die sich in Lagen und Ereignissen manifestieren, die die Migration, das Exil oder das Asyl begleiten, das Leben als Provisorium in jeder alltäglichen Hinsicht, das an Grenzen reichende Anpassungsleistungen und -notwendigkeiten erfordert.


Zeitliche Übergangsdimensionen

Die zeitliche Dimension des Überganges fordert in besonderer Weise menschliches Verhalten heraus. Ihr liegt eine Dynamik zugrunde, welche Bewegung und Veränderlichkeit umfaßt. Konkret ist sie periodisch faßbar, indem sie sowohl gesellschaftlich-politische als auch individuelle, auf ein einzelnes Leben bezogene Zeiträume bezeichnet. An Phänomenen wie Exil oder Migration manifestiert sich die Interdependenz beider Formen von Zeitlichkeit. Auf besondere Weise findet sich dieser Zusammenhang in einem Werk wie dem des Jahrhundertzeugen Walter Benjamin veranschaulicht. Es belegt sowohl die Tragik des Exilanten als Mensch im Übergangszustand wie auch den Ruhm des Stadtläufers der Moderne, der nicht grundlos zu einem bestimmten historischen Zeitpunkt vom Thema der Passagen besessen war.

Die Arbeit an seinem Lebenswerk, dem zwischen 1927 und 1940 entstandenen Passagen-Werk, war für ihn nicht allein Exil-Überbrückung, Übergangswerk im besten Sinne des Wortes, das zudem die abenteuerliche Editionsgeschichte vieler Exilwerke aufweist . Benjamins Interesse für Übergänge und Schwellen "als einer zeitlich oder räumlich inextensiven Gestalt des Zwischen", entspricht auch "einem Grundzug seiner Theorie der Erfahrung", (ihrer Zufälligkeit und Vergänglichkeit), wie sie für sein Werk konstitutiv ist , sowie seiner Biographie als Jude und Gelehrter, der (wie Georg Simmel oder Norbert Elias) im antisemitischen deutschen Universitätsmilieu nicht über die Schwelle gelassen wurde .


Räumliche Übergangsdimensionen

Ausgangspunkt des Passagen-Werkes, jenem "Manifest gegen alles Systematische" (Lothar Baier), ist eine historische Arbeit über die Pariser Passagebauten des 19. Jahrhunderts. Benjamin war nicht der einzige, der sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts für die zu diesem Zeitpunkt schon 'heruntergekommenen' Passagen interessierte und von ihrem "transitorischen Charakter" , von der Morbidität dieser einstigen Orte des luxuriösen Konsums fasziniert und inspiriert war: Auch Louis Aragon , Siegfried Kracauer , Egon Erwin Kisch haben Miniaturen zu den Passagen verfaßt, sie als Chiffre verwendet in der nostalgischen Auseinandersetzung mit dem Anbrechen einer vielversprechenden, aber auch unheilvollen neuen Zeit, einer Gegenwart im Umbruch. Kracauer spricht vom Tod des bürgerlichen Zeitalters, das durch den Zerfall der städtischen Passagebauten symbolisiert werde; Kisch sah sie fasziniert als Gegenwelt zur Prüderie der Wilhelminischen Gesellschaft, als Orte des Verruchten und der Gefahr , Aragon kürt sie als "paysage fantomatique des plaisirs et des professions maudites" zum Schauplatz seiner Zeitbetrachtung auf die städtischen Auswüchse der Moderne .

Das Stigma des Gefahrenraumes, wie es den Passagen des 19. Jahrhunderts nachgetragen werden konnte, haftete bisweilen auch den neuen städtischen Passagen der Moderne an. Gleich der Renovierung der Kracauerschen Lindenpassage in Berlin, deren "welker Bombast" in den 1920er Jahren mit "kalten glatten Marmorplatten" zugedeckt wurde , sollten auch die modern und sauber abwaschbar verkachelten Passageninterieurs im Nachkriegsdeutschland der 50er Jahre nicht mehr an die unmittelbare Vergangenheit erinnern. Auch sie waren, ganz ihrer städtebaulichen Bestimmung gemäß, keine Erscheinung von Dauer, sondern dem Vorübergehenden anheimgestellt. Spätestens in den die Nachmoderne ankündigenden Achtzigern waren sie ihrerseits zu unangenehm schmuddeligen Durchgängen geworden, die mit dem veränderten Zeitgeist nicht hatten mithalten können. Vor ihrer neuerlichen Umgestaltung zu wiederum schillernd bereinigten und postmodern verglasten Konsummeilen dien(t)en sie in vielen Städten als wettergeschütze Aufenthalts- oder sogar Wohnorte der eigenen Anderen: Obdachlose, Schnorrer ("Eh, haste ma ne Mak!"). Allerlei jüngere und ältere Durchgangsbevölkerung weilte hier, währenddessen sie für die Einen Unort oder allenfalls eilig durchmessene Abkürzung, eben recht eigentliche Passage darstellte - ganz wie zu Zeiten Zolas: C'est pas "un lieu de promenade. On le prend pour éviter un détour, pour gagner quelques minutes. Il est traversé par un public de gens affairés dont l'unique souci est d'aller vite et droit devant eux" . Der in historischen Abständen stets wiederkehrende Versuch ihrer (architektonischen) Erneuerung und (sozialen) Bereinigung scheint, so ließe sich folgern, eine Bestimmung des modernen Passagenraumes zu sein.


Die Passage als Kehrseite der bürgerlichen Gesellschaft

Menschen suchen in der Stadt Orte auf, sie orientieren sich an Orten (wie der Schule, dem Arbeitsplatz, Behörden, Geschäften oder Transportstationen); ihre alltäglichen Wege sind ortsbestimmt. Die Wege dazwischen, der Trajet erscheinen in der allgemeinen und dominierenden Vorstellung als lästiger, unumgänglicher Zeitverlust. Wer nur unterwegs ist, zieht den Verhaltensverdacht des auch im Leben Ziellosen auf sich, der auf die Marginalen fällt, auf die 'Arbeitslosen'. In einem positiven Sinne wird dieser Verweil-Raum allenfalls Menschen wie dem ‚Mann im Mittelmeerraum' oder dem Touristen zugestanden oder auch der literarisch überhöhten Figur des Flaneurs, der mit seiner Fortbewegung eine Art nützlicher Muße praktiziert. Die im Übergang verharrende Bevölkerung ist dagegen höchst suspekt; auf den bürgerlichen Intellektuellen hat sie jedoch immer wieder den romantischen Reiz der sogenannten "Halbwelt" ausgeübt. Sie ist an Orten zu finden, an denen es sich nicht empfiehlt, ‚mit Damen zu passieren', wie eine von Joachim Schlör zitierte Berliner Zeitungsmeldung aus dem Jahre 1884 warnt, die hinweist auf das "beispiellos rüde und unsittliche Treiben, welches sich allabendlich und allnächtlich in der Friedrichstrasse und in der Passage entwickelt" . "Die Weibsfauna der Passagen" hat Walter Benjamin als "Huren, Grisetten, alte hexenhafte Verkäuferinnen" beschrieben, als "Trödlerinnen, gantières, demoiselles - dies letztere war der Name für weiblich verkleidete Brandstifter um 1830" .

In den Passagen offenbart sich die Kehrseite der bürgerlichen Gesellschaftsordnung, die sich mit einer gewissen Vollendung in der Ambivalenz des Frauenbildes zwischen Ehre und Schande objektiviert. In ihr nisten sich die Sehnsüchte ein, die - so Aragon - im Widerspruch zur öffentlichen Moral stehen . "Ihre Eigentümlichkeit war" es, schrieb Kracauer, "Durchgänge zu sein, Gänge durchs bürgerliche Leben, das vor ihren Mündungen [...] wohnte", und in denen sich alles nicht Repräsentationsfähige, Ausgestoßene einnistete: "Begierden, geographische Ausschreitungen und viele Bilder, die aus dem Schlaf rissen" und die "sich dort nicht blicken lassen (durften), wo es hoch herging in den Domen und den Universitäten, bei Festreden und Paraden". Verbannt "ins innere Sibirien der Passage" blühten sie auf "wie in einem Sumpf".

Die vielleicht eindrücklichste Illustration des 'Niederganges' der wohlfeilen Passagenkultur des beginnenden 19. Jahrhunderts ist Emile Zolas bedrückende Beschreibung von Leben und Arbeiten in den Wohnungen und Geschäften der Pariser Passage du Pont Neuf in seinem Roman Thérèse Raquin, dem Leos Carax Kultfilm aus den 1990er Jahren über das Brückenleben, die Baustelle des modernen Pont Neuf, Les amants du Pont Neuf, an poetischem Ausdruck und ähnlich eindringlicher Aussage in nichts nachsteht. In Zolas Passage erreicht die Beschreibung der Düsternis dieser bürgerlichen Tabuzone einen Höhepunkt: gesäumt von "wie mit Lepra verputzten Wänden", von heruntergekommenen obskuren Geschäften mit verstaubten Auslagen ("namenlose Dinge, falscher Schmuck"... - "in der Nachbarschaft der Körpertriebe gedeihen die Allotria" ), aus denen kalter Kellergeruch strömte: "où la nuit habite pendant le jour" .

Ja, im alten Paris vielleicht, in Berlin oder Brüssel, werden Sie entgegnen, geneigte Leserin, skeptischer Leser, nicht aber im Bern des ausgehenden 20. Jahrhunderts mit seinen vielen alten neuen Durchgängen! Hier blühen Geschäftsleben und bürgerliche Kultur historisch fast ungebrochen mitten in der Innenstadt unter insgesamt über sechs Kilometer langen gedeckten Arkaden, die durch zahllose anständige und saubere Passagen miteinander verbunden werden. Zusammen bilden sie 220'000 qm Einkaufs- und Flanierfläche. Ein Bettelverbot und entsprechende "Maßnahmen zur Bereinigung der Innerstadt", die für eine umgehende "Ausschaffung" der ‚stagnierenden Passagenbevölkerung' vorwiegend ausländischer Provenienz sorgen, sollen den angstfreien freudigen Konsum der Passanten gewährleisten.


Gefahrenräume

Nicht nur die exemplarischen und mythischen Passagen tragen das Stigma des potentiellen Gefahrenraumes, sondern auch andere ambivalente innerstädtische Räume: zum Beispiel die sprachlosen oder durch Graffittis beredt gemachten Tatorte, schlecht beleuchtete und wenig frequentierte Treppen etwa, an deren Wänden manchmal zu lesen ist, welche Frau hier vergewaltigt oder sogar getötet worden ist. Ecken, Nischen, Unterführungen, Überführungen und Durchgänge erscheinen dunkel, bedrohlich und muffig. Beim Durchqueren von Fußgängerpassagen unterstreicht der olfaktorische Eindruck nicht selten den visuellen: Sie fordern Hunde und Männer zum raummarkierenden Pinkeln heraus. Wenn solche Angsträume in der Regel ziemlich menschenleer sind, dann sind sie doppelt frauenleer. Denn Bedrohungserfahrungen und Bedrohungsdiskurs führen zu Vermeidungsstrategien der Frauen in bezug auf solche Orte, vielfach ungeachtet von tatsächlich bestehenden Gefahren (aber wer kann es genau wissen?) . Vermeidung als defensive Strategie wiederum konsolidiert den hier im negativen Sinn gemeinten Übergangscharakter vieler städtischer Räume - eine Verdoppelung des Angstraumes - gerade für Frauen; ihr Aufenthalt hier ist immer zielgerichtet, nur Transit, Passage, Abkürzung eben (wie in so vielen weiblichen Lebensbereichen) und daher reale Einschränkung der Bewegungsfreiheit.

Neben den städtischen Durchgangsorten, die unter bestimmten gesellschaftlichen Umständen zu Gefahrenräumen (stilisiert) werden, gibt es solche von nationaler und internationaler Dimension. Die Menschenzwischenlager für unerwünschte Gäste, die "Durchgangslager", "Auffanglager", "Asylantenheime" haben weder für die betroffenen Individuen noch für die von außen wahrnehmende, umgebende Gesellschaft einen harmlosen Anschein. Aber auch die Peripherie ist ein Übergangsraum, die Zigeunersiedlungen vor der Stadt, die Slums, Vorstädte, HLMs und Cités, wo sich die provisorischen Behausungen mit hohen Fluktuationsraten befinden. An sie wird meist die in die Funktion vieler Übergangsräume gesetzte Hoffnung geknüpft, nur 'Übergangslösung' zu sein im Warten auf den eigentlichen Raum - eine Hoffnung, die in der Regel Illusion bleibt, da das Provisorium der Dauer verfällt. Die Untersuchungen von Denis La Mache, der Vorstellungswelten und Raumverhalten der BewohnerInnen von als brisant stigmatisierten französischen Vorstädten untersucht hat, veranschaulichen dies. Hier wird das eigentliche Leben von den Befragten im Anderswo der retrospektiven Erinnerung oder der prospektiv idealisierten Hoffnung situiert: "la vie est ailleurs, dans le souvenir d'une existence ouvrière conviviale et chaleureuse ou dans l'espoir d'accéder prochainement à la propriété" .

Das Gefahrenpotential solcher Vorstädte, ihre Kriminalität, die Gewalttätigkeit im öffentlichen und privaten Raum sind eng an diesen Übergangscharakter geknüpft. Sie sind nicht Stadt, nicht Land, es fehlt ihnen die Urbanität, die städtische Geschäftigkeit, die das öffentliche Raumverhalten bestimmt und legitimiert: kennzeichnend ist die "absence de tout prétexte au déplacement vital" . Diese 'Leerstelle' der Raumdefinition fordert die illegitimen Nutzungsformen der einen heraus - meist sind es diejenigen, die nicht über eigene Räume im ‚Zentrum' der Gesellschaft verfügen - sowie, als Folge, den Rückzug der anderen. In den Vorstädten wird ein und derselbe von den einen eroberte Freiraum für den anderen, potentiell Verdrängten zum Gefahrenraum oder Angstraum. Gleichzeitig ist es gerade dieser Niemandslandcharakter des Übergangsraumes, seine Flüchtigkeit, die ihn als Nische konstituiert und dadurch zum Kommunikationsraum, zum Freiraum und Möglichkeitsraum einer individuellen und unter Umständen herrschaftsfreien Entfaltung werden läßt . Für den Bürger und seine Ordnung sind Passagenräume als Projektionsfelder unentbehrlich, denn für ihn sind sie von den eigenen Versuchungen entlastender Vorwand, sie rechtfertigen sein Scheitern und kompensieren Frustrationen .

Diese empirischen Befunde decken sich mit Mary Douglas' analytischer Abbildung von Gesellschaft als einem räumlichen Gebilde, dessen Randbereiche und äußeren Begrenzungen Energien bergen, ein ungewisses, vermeintlich gefährdendes Potential, das im Grunde die innere Struktur schützt - gleich einer "Subkultur", die die Kultur vor Augen führt, bestätigt und so auch systemimmanent wirkt. Parergonalität stützt das Eigentliche, auch wenn es ihm den Boden unter den Füßen wegzuziehen droht. Dies gilt in bezug auf die Gesellschaft ebenso wie auf die Wissenschaft, denn an ihren Rändern ist jede Vorstellungsstruktur gefährlich .